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Einleitung: „Ich bin fremd gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.“ (Matthäus 25,35)

Ihr habt mich aufgenommen

Dieser Satz beschreibt eigentlich den Normal­fall. Wer Alt­vertrautes hinter sich lässt und irgendwo neu anfängt, ist darauf angewiesen, aufgenommen zu werden. Für Menschen, die aus der Heimat ver­trieben wurden oder die Flucht ergreifen mussten, bedeutet „ihr habt mich auf­genommen“ so viel wie: Ich bin mit dem Leben davon­gekommen, ich bin gerettet, ich habe wieder eine Chance für mein Leben. Aufgenommen zu werden ist eine lebens­notwendige Erfahrung.

Was weltweit heute vielen Millionen Menschen widerfährt, ist auch der Kriegs- und Nachkriegsgeneration in unserem Lande nicht fremd. Nach 1945 haben zwölf Millionen Menschen ihre alte Heimat verloren und mussten sich eine neue Heimat suchen und schaffen. Das hat sie und nachkommende Generationen geprägt. Die Heimat zu verlieren ist etwas Furchterregendes. Seine Heimat verliert, wer vertrieben wird oder fliehen muss. Seine Heimat verliert aber auch der, dessen Land von Fremden erobert, besetzt oder beherrscht wird. Die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge war eine große gemeinsame Leistung. Eine Heimat haben bedeutet so viel wie: mit vertrauten Menschen an einem vertrauten Ort zu leben, ohne Angst und in guter Beziehung. Es heißt so viel wie: gesegnet zu sein.

In unserer christlichen Tradition haben wir eine bestimmte Perspektive. Jesus setzt hier bleibende Maßstäbe: Treue und fleißige Menschen sollen sich am Segen Gottes freuen können. Auch fremde, hungrige, durstige, nackte, kranke, sogar schuldig gewordene Menschen finden einen Ort zum Leben. Segen macht die Welt zu einem Platz, an dem Menschen gemeinsam eine Bleibe finden, jenseits von Eden. Sie bekommen miteinander einen Vorgeschmack auf die himmlische Heimat.

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2 Antworten auf „Ihr habt mich aufgenommen!“

  1. Wolfgang Dzieran

    Als erstes einmal ganz herzlichen Dank an alle, die diese Seite hier aufgebaut haben und mit Inhalten gefüllt haben! Schon auf den ersten Blick sieht mensch, hier wurde mit viel Herzblut gearbeitet, gestritten, formuliert, bebildert. Ich freue mich auf den kommenden Dialog, die Beiträge, die jetzt kommen werden. So macht Kirche Spaß! Wir werden nicht nur die Asche verwalten, sondern das Feuer schüren 🙂

  2. Beate S. Herbers

    Ich würde gerne liken, was Herr Dzieran geschrieben hat. Schade, dass das nicht geht… 😉

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Ich bin fremd gewesen

Fremd zu sein ist nicht immer eine Not. Das Fremde ist ja auch das Verlockende. Besuche zwischen Partnerstädten in Europa oder auch zwischen Partnerkirchen weltweit haben immer auch etwas Exotisches, Reizvolles und atmen nach wie vor den Duft der großen, weiten Welt. Fremde Menschen werden als Gäste aufgenommen, genauso wie wir als Fremde von unseren Gastgebern aufgenommen werden.

Menschen haben ein Recht, fremd zu sein. Sie haben ein Recht, sie selbst zu sein, und niemand darf ihnen den Anspruch aufnötigen: Entweder du wirst wie wir, oder du bist nicht mehr willkommen. Fremdsein und Angenommensein sind kein Widerspruch, sondern zwei Seiten derselben Medaille. (Was sollte aus einem langjährig verbundenen Paar werden, wenn es den Unterschied zwischen Ich und Du nicht mehr geben dürfte …)

Das Fremde kann das Begehrte sein. Das Beispiel der fremden und exotischen Küche liegt auf der Hand. Berühmte Maler haben Anfang des 20. Jahrhunderts den Zauber der Südsee gesucht. Vom Reiz der Fremde, des Fremden und Exotischen leben nicht zuletzt unser Fernweh und das große Interesse an Kreuzfahrten und Weltreisen. Ich kann mich auch an das Fremde gewöhnen, es immer mehr zu schätzen lernen, mir aneignen und sogar bedauern, dass das Fremde durch Gewöhnung und Aneignung seine Besonderheit verliert.

Aber auch das ist wahr: Fremdes kann ängstigen, einfach nur, weil es anders und ungewohnt ist. „Fremde Länder, fremde Sitten“, sagt ein altes Sprichwort. Das kann verunsichernd wirken. Das Fremde kann nicht nur ängstigen, weil es anders ist. Das Fremde kann wie das vermeintlich Vertraute auch Böses im Schilde führen. Man glaubt, einen Menschen zu kennen und ihm vertrauen zu können, und dann kommt es zu Verrat, Missbrauch, Gewalt, Kriminalität. Niemand hätte damit gerechnet. Man gewährt dem Fremden Gastfreundschaft, öffnet ihm die Tür, gibt ihm Raum zur Entfaltung, und dann zeigt er sein wahres Gesicht als Extremist und Gewalttäter. Es hat auch Gründe, wenn etwa in der lateinischen Sprache das Wort hostis zugleich „der Fremde“ und „der Feind“ bedeutet. Es gibt eben keinen Menschen, dem gegenüber nicht auch Vorsicht und Wachsamkeit geboten sind.

Es bedarf eines ganzen Dorfes, um ein Kind zu erziehen, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Die Gemeinschaft bezieht den einzelnen Menschen in Leben und Arbeit ein, gibt ihm Zuwendung, führt ihn in das Miteinander ein, lässt es aber bei Normverletzungen auch nicht an umgehender erforderlicher Ansprache und entsprechenden Sanktionen fehlen. Das gilt nicht nur für Kinder. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was geschieht, wenn es genau daran mangelt. Dabei ist zu bedenken: Menschen, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind und bei uns Zuflucht gefunden haben, sind einem speziellen, engmaschigen Regelwerk – zum Beispiel den Aufenthalts- und Arbeits­bestimmungen für Flüchtlinge und Asylbewerber – unter­worfen, das nur für sie, aber nicht für die einheimischen Staats­bürgerinnen und Staats­bürger gilt. Dass nur sie – und nicht auch Einheimische – diesbezügliche Regelverstöße begehen können, liegt auf der Hand. Anders verhält es sich hingegen bei Diebstahl, Betrug, Gewalt und Missbrauch bis hin zum organisierten Verbrechen. Hier finden sich unter den Einheimischen ebenso Täter wie unter den Flüchtlingen. Kriminalität muss mit anderen Worten nicht erst importiert werden. Zwar gibt es infolge des Bevölkerungs­zuwachses durch Flüchtlinge und Zugewanderte ein Mehr an bestimmten Delikten. Daraus lässt sich jedoch nach Ein­schätzung aller Experten nicht auf eine höhere Kriminalität unter den zu uns gekommenen Menschen schließen. Vielmehr gilt für Einheimische wie für Flücht­linge und Zugewanderte gleichermaßen: Es gibt unabhängig von der kulturellen Herkunft, der religiösen oder weltanschaulichen Zugehörigkeit oder dem sozialen Status Faktoren, die Kriminalität begünstigen und fördern, und andere, die vorbeugend wirken.

2016 hatte 22,5 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung Migrations­hinter­grund, in NRW 27,2 Prozent. (Quelle: Statistisches Jahrbuch 2017) Dazu heißt es: „Eine Person hat dann einen Migrations­hintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Eltern­teil nicht mit deutscher Staats­angehörigkeit geboren ist. Zu den Personen mit Migrations­hintergrund gehören im Einzelnen alle Aus­länderinnen und Aus­länder, (Spät-)Aus­siedle­rinnen und (Spät-)Aus­siedler und Ein­gebürgerten. Ebenso gehören dazu Personen, die zwar mit deutscher Staats­angehörigkeit geboren sind, bei denen aber mindestens ein Eltern­teil Ausländer/-in, (Spät-)Aussiedler/-in oder eingebürgert ist.“

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4 Antworten auf „Ich bin fremd gewesen!“

  1. Malte Hausmann

    “ …sagt ein afrikanisches Sprichwort.“
    Wie gerne sprechen wir von Afrika, als sei es ein Land, ein einheitliches kulturelles Gebilde. Ein „afrikanisches Sprichwort“ will mir scheinen, gibt es ebensowenig, wie ein „europäisches Sprichwort“. Die circa 1,3 Milliarden Menschen verteilen sich auf 55 politische Staaten mit unzähligen Untergliederungen.

    Die Vereinfachung bei Sprechen „über Afrika“ ist leider allgegenwärtig, sollte es aber nicht sein, schon gar nicht, in dieser Hauptvorlage und unserer Kirche. Mir ist bewußt, dass es hier eine „harmlose“ Verallgemeinerung ist, doch wer will da entscheiden, ab wo es eben nicht mehr harmlos ist?

  2. Michael Hoffmann

    Danke für die Hauptvorlage. Danke, dass die Kirche sich dieses wichtigen Themas annimmt und es so in der Öffentlichkeit hält.
    Ich finde es auch begrüßenswert, dass mit dem Text versucht wird möglichst viele Menschen für die Diskussion zu gewinnen. Einige Formulierungen gehen mir dann aber doch etwas weit. Bedenklich finde ich v.a. einen Satz in diesem Kapitel: „Es gibt eben keinen Menschen, dem gegenüber nicht auch Vorsicht und Wachsamkeit geboten sind.“
    Vorsicht und Wachsamkeit sind dann nötig, wenn ich meinem Gegenüber nicht trauen kann. Die Aufforderung zu einer solchen Haltung des Misstrauens passt in meinen Augen weder zur christlichen Botschaft, noch zur eigentlichen Stoßrichtung dieser Hauptvorlage. Ich hoffe sehr, dass diese Aussage noch korrigiert wird.

  3. EKvW

    Übersetzt aus dem Englischen

    Autorin: Batara Sihombing

    Ich glaube, dass es nicht einfach ist, als Fremder in einem fremden Land zu sein, weil man darauf angewiesen ist, gastfreundlich aufgenommen zu werden. Aus diesem Grund bezeichnet Jesus sich selbst als Fremden (Matth. 25,35). Er ist wie ein Mensch, der Fürsorge oder Gastfreundschaft braucht. Wenn wir die Bedürfnisse der Fremden ignorieren, ist es einfach, sie zu diskriminieren oder sie ablehnend zu behandeln. Wenn der Herr sagt, dass er ein Fremder ist bedeutet das, dass wir uns der Fremden annehmen sollen.

  4. Dr. Hans Hubbertz

    Greift das Verständnis von Fremdheit in der Hauptvorlage nicht nicht zu kurz? –
    Zwischen der Fremdheit des un-versteh\-baren Anderen/Nächsten und der absoluter, unverständlicher Fremdheit zu unterscheiden, also der Differenz von ‚Alterität und Alienität‘, sollte für theologische Aussagen unumgänglich sein: Ohne einen theologischen Begriff von absoluter, losgelöster Fremdheit (Alienität) lässt sich Gott als der ‚ganz Andere‘ (Karl Barth) kaum bezeichnen. Christus als Gott, der Mensch geworden ist, stellt genau in diesem Sinne eine einzigartige Verbindung von menschlicher und göttlicher Nähe/Ferne dar.
    Durch die Fixierung auf den Hilfeaspekt wird der entscheidende Beziehungsaspekt zwischen ‚mir‘ und ‚dem Fremden‘ fürsorglich-paternalistisch geführt und somit unterbelichtet. In der kommunikativen Begegnung mit dem Fremden, im Rahmen einer Beziehung zum Anderen kann sich der Begriff des Fremden erst überhaupt herausbilden, der das Fremde ‚zum Fremden für mich‘ macht.
    Weiteres zu dieser Frage in meinem ausführlicheren Text zur Hauptvorlage unter: https://bit.ly/34yPghH dort auf Seite 7ff.

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Warum gerade jetzt wieder über Migration reden?

Die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW), ihre Mitglieder, Gemeinden und Einrichtungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark engagiert für die Aufnahme und Integration von Menschen, die aus Gründen politischer Verfolgung oder aus anderen Gründen – insbesondere wirtschaftliche Not, Bürgerkrieg oder Krieg – zu uns gekommen sind. Sie hat auf der Basis des Evangeliums Stellung bezogen zu grundlegenden Fragen und aktuellen Herausforderungen. Warum wendet sich die Evangelische Kirche von Westfalen heute an die Öffentlichkeit mit einer Hauptvorlage „Kirche und Migration“? Antwort: Wir halten es für erforderlich, erneut und noch einmal grundlegend Stellung zu beziehen. Die Lage hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren verschärft. Die Probleme sind immer drängender geworden. Gleichzeitig wird die Diskussion darüber immer unversöhnlicher und immer enthemmter geführt.

Mehr als eine Million Kinder, Frauen und Männer sind seit 2015 auf der Flucht vor Krieg, Terror, politischer Verfolgung und Gewalt in ihrem Heimatland und in der Hoffnung auf ein Leben ohne Todesangst zu uns nach Deutschland gekommen.

Mit überwältigendem Einsatz haben zahllose Bürgerinnen und Bürger, christliche Gemeinden, christliche und säkulare Wohlfahrtsverbände, Initiativen, Vereine, Unternehmen und Gewerkschaften sich zusammen mit den Verantwortlichen in den Kommunen vor Ort für die Integration der Geflüchteten engagiert und eine in diesem Maße nicht erwartete Willkommenskultur mit Leben gefüllt.

Gut 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind Flucht und Vertreibung für die meisten Deutschen keine Lebenserfahrung mehr. Bis vor kurzem war das eher ein Randthema in den Medien. Die vielen Millionen Menschen, die vor Krieg, Terror und Gewalt aus ihrem Heimatland flohen, hatten unser Mitleid. Aber sie waren weit weg. Und dann plötzlich ganz nah. Denn hunderttausende Kinder, Frauen und Männer kamen und kommen zu uns in der Hoffnung auf ein Leben ohne Todesangst. Was für uns selbstverständlich ist, kannten viele von ihnen bisher nicht. Sie haben jeden Grund, das Grundrecht auf Asyl für sich in Anspruch zu nehmen. Sie sind willkommen.

Hannelore Kraft, Geleitwort der damaligen Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen zu Gerhard Schäfer u. a. (Hg.), Geflüchtete in Deutschland, Göttingen 2017

Ich habe durch die Flüchtlinge neue Freunde gefunden. Ich habe viel gelernt und erfahre viel Dankbarkeit und Gastfreundschaft.

Mann, 52 Jahre

Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass Zuwanderung in diesem Ausmaß und Tempo zugleich eine große Heraus­forderung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist. Sie hat zu Verunsicherung und Spannungen geführt.

Zum einen, weil es eine langfristige, anspruchsvolle und auch schwierige Aufgabe ist, die geflüchteten Menschen dauer­haft in unsere Gesell­schaft zu integrieren. Erwachsene wie Kinder und Jugend­liche müssen angemessenen Wohn­raum finden, die deutsche Sprache erlernen, Zugang zu Bildung und Arbeit finden.

Zum anderen sind viele Menschen in unserer Gesellschaft ohnehin tief verunsichert. Die ihnen bislang vertraute Welt verändert sich rasant und tiefgreifend. Immer weniger sehen sie, wo in diesen unübersichtlichen Umwälzungen ihr eigener Platz sein kann. Die wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung stellt vertraute Werte in Frage. Digitalisierung, Mobilität, neue Arbeitsformen und fortschreitende Individualisierung eröffnen ungeahnte neue Möglichkeiten. Sie stellen zugleich vertraute Lebenskonzepte, Sicherheiten und Orientierungsrahmen für viele Menschen radikal in Frage. Es fällt schwer, die immer schnelleren grundlegenden Umwälzungen in der globalen Wirtschaft zu begreifen. Ausschlaggebende Faktoren, von denen das Leben bestimmt wird, scheinen sich den Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger mehr und mehr zu entziehen. Umso größer wird die Furcht, dass diese Entwicklungen die eigenen Zukunftschancen bedrohen.

Die Menschen, die als Geflüchtete oder Migrantinnen und Migranten zu uns kommen, werden von vielen inzwischen als Verkörperung oder Verursacher dieser Sorgen und Ängste wahrgenommen. Integration ist ein komplizierter und langfristiger Prozess. Er ist mit Schwierigkeiten und Problemen verbunden. Viele empfinden das zunehmend als Überforderung. Leben in Vielfalt klingt schön – kann aber auch als Bedrohung der eigenen, vertrauten Lebensbezüge empfunden werden. Immer mehr Menschen fühlen sich in unserer Gesellschaft abgehängt und ausgegrenzt. Manche von ihnen empfinden Migrantinnen und Migranten mit der Fähigkeit und dem Willen zum sozialen Aufstieg als Konkurrenten um Arbeitsplätze.

Zugleich erleben wir, dass gegenwärtig weltweit Populisten und Rechtsextreme diese Verunsicherungen, Sorgen und Spannungen für sich nutzen und vor ihren Karren spannen. Sie verwandeln die Sorgen der Bevölkerung in Angst und Hass. Sie richten diesen Hass auf Menschen mit Migrations­geschichte und Geflüchtete, aber auch auf Menschen, die deren Rechte einfordern und ihnen helfen. Gegen Hass­parolen und Ein­schüchterungs­versuche gilt es, Haltung zu zeigen und Widerstand zu leisten.

Ich kümmere mich seit 2015 um viele geflüchtete Menschen. Es fing alles so gut an. Ich habe viel Zeit und Energie ‚geopfert‘. Bei vielen hat sich mittlerweile eine bleierne Schwerfälligkeit über ihr Leben gelegt und der Schwung ist raus. Von einigen fühle ich mich ausgenutzt, andere kommen einfach nicht weiter.

Frau, 53 Jahre

Wie kann in einer solchen Situation die Kirche zur Orientierung und Versachlichung beitragen? Wie können die Hoffnungsgeschichten und Hoffnungsbilder der Bibel Menschen tragen in ihrer Verunsicherung und Sorge? Wie kann diese biblisch begründete Hoffnung Kraftquelle für unser Leben und Handeln werden, für unsere Solidarität mit den Menschen, die unseren Einsatz brauchen? Wie kann sie uns Mut machen, angesichts der Unüberschaubarkeiten, Unsicherheiten und Abgründe der gegenwärtigen Entwicklungen, gemeinsam Zukunft zu gestalten?

Ich kenne die Bibel nicht. Stimmt es, dass alle, die darin vorkommen, Migranten sind? […] Diese ganze Migranten- und Flüchtlings­thematik heute wird geschönt, wenn man sie unmittelbar mit der Zeit Jesu in Verbindung bringt.

Lesen Sie den gesamten Kommentar.

Ulrich Müller, Feuerwehrmann a. D., Schwerte

Diese Hauptvorlage der Evangelischen Kirche von Westfalen ist kein Wort aus dem Himmel. Sie versteht sich aus der Perspektive des Miteinanders: gemeinsam mit unseren Partnern in Staat und Gesellschaft. Wir wollen unsere Erfahrungen und Erkenntnisse in die öffentliche Diskussion einbringen. Und wir wollen aus der öffentlichen Debatte unsererseits lernen. Denn uns ist bewusst: Als Christinnen und Christen benötigen wir für unsere Verständigung über die uns leitende Grundhaltung immer wieder neu Justierung und Korrektur, Vergewisserung und Klärung. So verstehen wir den Auftrag der Kirche und ihre konkreten Aufgaben angesichts sich neu zuspitzender Herausforderungen. Deshalb freuen wir uns auf die Möglichkeiten direkter Reaktion und Kommunikation, die mit der interaktiven Internetfassung dieser Hauptvorlage erstmals gegeben sind.

Lassen Sie sich davon anregen. Und regen Sie uns an mit Ihren Reaktionen!

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8 Antworten auf „Warum gerade jetzt wieder über Migration reden?“

  1. P. Osterkamp Mann 69jahre

    Weil es nötig ist. Migranten,sind Menschen die gekommen sind um anders behandelt zu werden als in ihrem Heimatland. Schlimmstenfalls könnten sie auch noch Christus kennen lernen. Das wäre positiv

  2. Beate Ullrich

    Ja, weil es nötig ist. Weil man die Menschen jetzt nicht hängen lassen darf. Essen, Unterkunft und Kleidung sind nicht genug auf die Dauer. Sie brauchen weiter Begleitung, um wirklich anzukommen, um ein eigenständiges Leben führen zu können und nach und nach von Hilfe unabhängig zu werden.

  3. Mayr Annegret

    Es gibt reichlich Stoff zu bereden! Z.B. Sollten evangelische Kitas eine super gute Integrationsarbeit leisten, die der Vielzahl der vorhandenen Konfessionen und Religionen Rechnung trägt! Statt dessen sind die Erzieherinnen oft überfordert und haben keine Zeit, sich auch noch darum zu kümmern.

  4. Ursula August

    Ich finde, dass es in vielen Ev. Kindertagesstätten seit Jahrzehnten eine ausgezeichnete Integrationsarbeit gibt. In vielen Einrichtungen wird auch das interreligiöse Lernen groß geschrieben ( Feste der Religionen, Gratulationen zu den Festtagen, Speiseregeln, Andachten zu Beginn der Woche, Besuche von Gotteshäusern… und und ) . Im Bereich der Flüchtlingsarbeit gibt es auch Angebote der Kindergärten, Flüchtlingskinder aufzunehmen. Das stellt eine neue Herausforderung dar und setzt nicht nur „sprachliche Übersetzungsarbeit“ sondern auch psycho-soziale Begleitung voraus. Die Diakonie Rheinland-Westfalen gibt hierzu aber gute Anregungen für die Betreuung und Begleitung von Flüchtlingskindern.

  5. Herbert Müller

    Die Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg kamen vor allem aus dem christlichen Kulturkreis. Die türkischen Gastarbeiter kamen nicht aus dermaßen traumatisierenden Lebensumständen wie die Flüchtlinge aus Syrien. Die Herausforderungen sind größer geworden. Und je länger ein Integrationsprozess ist, desto tiefere Fragen der Integration werden aufgeworfen. Fragen der Glaubensbasis (oder von mir aus der Lebensphilosophie) drängen danach, beantwortet zu werden. Und die drängenden Fragen der Integration bedürfen Antworten, die nur in der Tiefe unserer Glaubensbasis (oder von mir aus der Lebensphilosophie) gefunden werden können. Und ich bin der festen Überzeugung, dass der Islam zu anderen Antworten kommt als das Christentum. Sind ihre Grundlagendokumente doch auch zu verschieden von denen des Christentums. Ist von Seiten des Islam eine Integration unter unser Grundgesetz überhaupt gewollt? Geht es hier nicht eigentlich doch um ein Kräftemessen zwischen den Religionen und Kulturen? Interreligiöser Dialog ist gefragt, weil der Anteil der Muslime deutlich zugenommen hat. Meines Erachtens sind die Kirchen nicht gefragt, ihre Kraft da hinein zu stecken, Muslime in unsere Gesellschaft zu integrieren, sondern stehen in der Sendung, Muslimen und allen Menschen die frohmachende und zutiefst heilsame Botschaft von Jesus nahe zu bringen. Einzig in der Versöhnungsbotschaft Jesu liegt doch die Kraft, Hass, Krieg, Misstrauen, Konkurrenzverhalten, Ängste u.ä. zu überwinden. Materielle Versorgung und soziale Sicherheit allein überwinden noch nicht die Ursachen des Übels (bzw. der Sünde).

  6. Jutta Fernandes

    Ich: Vor dem Zweiten Weltkrieg geboren, selbst Flüchtlingskind gewesen, fast 50 Jahre mit einem asiatischen Christen, der fast 1 Jahr in politischer Haft unschuldig war, verheiratet, 3 Kinder, die „farbig“ sind aus unserer Ehe, alle Deutsche seit vielen Jahren, alle haben in Deutschland studiert, und arbeiten für unser Land. Ich war viele Jahre in Afrika mit einer Mission, habe in der Entwicklungshilfe gearbeitet unter Moslemen. 20 Jahre hier mit meinem Mann, erst hauptberuflich im Sozialamt, dann ehrenamtlich in meiner Stadt für Flüchtlinge u. Asylsuchende gearbeitet, bis heute. Einige von ihnen haben hier studiert, sind geblieben, tun gute Arbeit, doch noch mehr leben von Sozialhilfe und werden da auch nicht raus‘ kommen.
    Die meisten, die es „geschafft“ haben von ihnen, waren Christen od. sind es geworden. Meine Erfahrungen:Viele junge Männer, vor allem Mosleme werden von den Eltern geschickt, damit Geschwister u. Eltern nach kommen können, ohne persöhnl- Gefahren in ihrem Land! Ernsthafte Christen, bes. aus dem Iran u. Ägypten werden nicht anerkannt, haben aber Schutz sehr nötig! Ein Netzwerk von Ghanäen gibt es in ganz Deutschl. In Ghana wird niemand ernsthaft verfolgt. Sie leben hier z.großen Teil von Schwarzarbeit u. Kindergeld. Zu viele haben sich den Schutz „erlogen“! Als Helfer müssen wir sehr gut unterscheiden lernen, wer hier bleiben muss und wer zurück sollte und das auch ans BAMF MELDEN! Viele von ihnen,leider oft Mosleme über 40 J. haben kein Interesse, die Sprache zu lernen und somit werden sie auch nicht in einen Arbeitsprozess integriert werden können, weil sie schon in ihrem Herkunftsland kaum eine Schule besucht haben. Es ist richtig, allen Schutz zu geben, die ihn wirklich brauchen und auch allen das Evangelium verkünden, doch wir können nicht das Sozialtamt der ganzen Welt werden! Wie sehen unsere Schulen, Straßen, Brücken Schwimmbäder aus, Wie viele Alleinerziehende Deutsche bekommen nicht genug für ihre Kinder? Die Bibel lehrt uns: Nehmt den Fremden auf, aber nicht die halbe Welt! Viele Deutsche machen die Augen vor dem Islam zu, er steht bei vielen Moslemen, die bei uns leben, über dem Grundgesetz! Dies sind nur einige Erfahrungen, die ich weiter geben möchte.

  7. Kirsten Potz

    aus einem Gespräch im Partnerschaftskreis Misiones (Argentinien), resultierend aus Erkenntnissen im jahrelangen Kontakt mit einer seit 1815 aus Migration entstandenen Kirche
    • Wir beobachten bei uns selbst Angst gegenüber Fremden/Fremdem (unbekannt, bedrohlich), wenn es auf uns zukommt und auch die Anziehungskraft des Fremden (exotisch), wenn wir uns ihm nähern (Urlaub, Partnerschaftsreise).
    • Wer noch nie im eigenen Land Fremdheitserfahrungen gemacht hat (z. B. durch Umzug in eine andere Region), hat in der Regel weniger Verständnis für die Schwierigkeiten der Integration.
    • Eigene Migrationserfahrung macht einige, aber längst nicht alle, solidarischer!
    • Weil ich durch die Partnerschaft Kontakt mit anders Denkenden und anders Lebenden habe, bin ich allgemein sensibler geworden für Menschen aus anderen Ländern und Kulturen.
    • Es braucht mehrere Generationen, bis Migranten richtig angekommen sind, sprachlich wie gefühlsmäßig.
    • Man muss Verständnis dafür haben, dass Menschen in einem neuen Land zusammenkommen und ihr Eigenes, ihr Mitgebrachtes bewahren wollen.
    Negative Erfahrungen (Ablehnung, Beleidigungen, Ausgrenzung…) führen zur Abschottung und Insel-Bildung.
    • Die Kinder der Migranten setzen sich von der Elterngeneration ab; es gibt Probleme mit dem wechselseitigen Verstehen (auch im wörtlichen Sinn/sprachliche) und Konflikte über den Wert der alten Heimat.
    • In Misiones beobachten wir das vor allem, wenn die Kinder nach dem Schulabschluss zur weiteren Ausbildung in die Großstadt ziehen müssen:
    Weggang bedeutet nicht nur geographische Distanz; Reiz der – aber auch Überforderung durch die – Großstadt;
    die Loslösung von den Eltern bedeutet auch Bruch mit tradierten Familien- und Kulturnormen, Entfremdung von der evangelischen Kirche bei Einleben in rein spanisch-sprachigen, katholisch geprägten Kontext,
    • Integration ist gelungen, wenn
    – man wegen der Herkunft nicht ausgegrenzt wird (in Nachbarschaft und Schule, bei Wohnungs- und Arbeitssuche),
    – man die Sprache beherrscht und souverän je nach Situation zwischen Sprechen, Gewohnheiten, Essen … wechseln kann
    • Eine Atmosphäre des Willkommens, d.h. freundliche, offene Aufnahme zu erleben, ist für die Beheimatung wichtiger als Sprachkenntnisse zu erwerben.
    • Kontakte und Begegnungen erleichtern das Einleben, z. B. ein Kirchkaffee mit Menschen, die auf andere zugehen und sie einbeziehen. Dabei kommt es mehr auf Verlässlichkeit an als auf sporadische Erfahrungen.

  8. Kirsten Potz

    Der Arbeitskreis La Plata der Ev. Kirche von Westfalen steht im engen Kontakt mit der Ev. Kirche am La Plata (IERP) in den Ländern Argentinien, Paraguay und Uruguay. Diese Kirche geht auf deutschsprachige Auswanderer zurück (ab 1815, vor allem Deutsche, Wolgadeutsche, Schweizer, Siebenbürger Sachsen). Die Partnerschaft mit der La Plata-Kirche bietet die Möglichkeit zum Perspektivwechsel; sie lässt uns auf unsere Gesellschaft aus der Perspektive von Migrantinnen und Migranten blicken.
    Auch Deutschland wird seit Jahrzehnten von Migration geprägt, hat aber lange versucht, das Thema zu verdrängen. Es ist jedoch wichtig für die Gestaltung der Zukunft unseres Landes und Europas. Der Arbeitskreis La Plata begrüßt, dass die Ev. Kirche von Westfalen das Thema unter dem Titel „Kirche und Migration“ gezielt in die breite innerkirchliche und gesellschaftliche Diskussion einbringt.
    Die gemeinsame religiöse und kulturelle Identität hat eine Gemeinschaft stiftende Dimension, die in der Fremde Halt gibt und so das Ankommen in der neuen Heimat erleichtert. Zugleich kann sie aber auch zum Hemmnis werden, wenn sie als Gegenkultur zur Umwelt angesehen wird und von dieser als Bedrohung der eigenen Identität wahrgenommen wird. Am La Plata wird jetzt, in der dritten und vierten Generation der Eingewanderten, die Identitätsfrage neu gestellt. Die klassischen Antworten auf viele Fragen funktionieren nicht mehr und die Verbindung zur „alten Heimat“ verliert an Bedeutung. Das führt zu Unsicherheiten und auch Konflikten. Die Extreme von Abschottung von der spanisch geprägten Kultur am La Plata einerseits und Aufgabe der deutschen Wurzeln andererseits werden diskutiert und führen zu Spannungen, die existenzbedrohende Ausmaße annehmen können: Wodurch fühlt sich die Gemeinschaft jetzt noch verbunden? Wie ist das eigene Profil neu zu definieren? Das Verbindende ist heute nicht mehr die deutsche Sprache und Kultur, sondern der protestantische Glaube.
    Michael Hoffmann, Pfarrer in Hagen:
    „Ich habe ein Jahr meines Vikariats in der Ev. Kirche am La Plata verbracht. In dieser Zeit habe ich kulturelle Vielfalt und Traditionen noch einmal neu schätzen gelernt. Sie sollten nicht leichtsinnig aufgegeben werden, weil das zu Orientierungslosigkeit führen kann. Als Gesellschaft sollten wir dies nicht von anderen Kulturen verlangen und als Kirche nicht von unseren Mitgliedern. Mut zur Vielfalt bedeutet aber eine enorme Kraftanstrengung, denn es bedeutet ständig mit Irritationen umgehen zu müssen. Wollen wir offen sein, dann müssen wir auch damit leben, dass andere Menschen Dinge anders tun als wir. Das bietet enormes Konfliktpotenzial, ist aber in meinen Augen der einzig legitime Weg.“
    Ein La Plata-Pfarrer beim Begegnungskolleg von Pfarrerinnen und Pfarrern aus Deutschland und der IERP im Jahr 2017 zum Thema „Migration und Identität“: „Wir hören hier in Deutschland immer wieder, dass sich die Flüchtlinge / Migranten schnell und völlig integrieren sollen. Bei uns hat der Prozess 150 Jahre gedauert – und ist noch nicht überall abgeschlossen.“
    Der Prozess der Integration / Inkulturation spiegelt sich in der Liturgie, machte Pfarrer Waldemar von Hof (IERP) bei diesem Kolleg deutlich: Zunächst wurde in den Gottesdiensten nur deutsch gesungen, gebetet und gepredigt. Langsam und nicht immer einmütig vollzog sich der Wandel im Leben der Gemeinden und in Synodenbeschlüssen – über immer mehr spanische Elemente bis hin zur heutigen rein spanischen Gestalt von Gesangbuch, Agende und Gottesdienst. Nur noch vereinzelt werden deutschsprachige Gottesdienste gehalten, vor allem in den Hauptstädten der drei Länder.
    Durch die Partnerschaft mit einer Kirche mit Migrationshintergrund haben wir für unseren eigenen Kontext gelernt: Alle müssen Geduld miteinander haben. Integrieren darf nicht mit Assimilieren verwechselt werden. Das Verhältnis auszubalancieren von Bewahren des Mitgebrachten einerseits und sich Einlassen auf das Vorgefundene bis hin zum Inkorporieren des Vorgefundenen andererseits, und dabei Befremdliches gelten zu lassen und offen für Neues zu sein, ist eine bleibende gesamtgesellschaftliche Aufgabe
    In diesem Prozess wird es für uns hilfreich sein, von der Partnerkirche den Umgang mit Frustration sowie Toleranz zu lernen, aber auch, das Eigene selbstbewusst zu leben, für den gewachsenen eigenen Kontext einzustehen und zu akzeptieren, dass dieser Kontext immer im Fluss und keineswegs monolithisch ist.
    In den sich immer stärker polarisierenden Gesellschaften sowohl in Südamerika als auch in Europa sehen wir die Aufgabe der Kirche darin, in diesem Prozess alle mitzunehmen und niemanden ausgrenzen, aber unser prophetisches Amt wahrzunehmen und auf Schieflagen in der Gesellschaft hinzuweisen.
    Auf Seite 7 der Vorlage findet sich der Satz „Es gibt eben keinen Menschen, dem gegenüber nicht auch Vorsicht und Wachsamkeit geboten sind.“ Diesen Satz können wir nicht unterschreiben. Ein Misstrauensvorschuss ist in der Migrationsfrage nicht zielführend. Er steht unserer auch durch das Kirchentagsmotto 2019 in Dortmund („Was für ein Vertrauen!“) zum Ausdruck gebrachten Überzeugung entgegen.
    Arbeitskreis La Plata der Ev. Kirche von Westfalen, September 2019

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